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Kapitel 15
Dann habe ich begonnen, sie zu verraten.
Nicht daß ich Geheimnisse preisgegeben oder Hanna bloßgestellt hätte. Ich habe nichts offen-bart, was ich hätte verschweigen müssen. Ich habe verschwiegen, was ich hätte offenbaren müssen. Ich habe mich nicht zu ihr bekannt. Ich weiß, das Verleugnen ist eine unscheinbare Variante des Verrats. Von außen ist nicht zu sehen, ob einer verleugnet oder nur Diskretion übt, Rücksicht nimmt, Peinlichkeiten und Ärgerlichkeiten meidet. Aber der, der sich nicht bekennt, weiß es genau. Und der Beziehung entzieht das Verleugnen ebenso den Boden wie die spekta-kulären Varianten des Verrats.
Ich weiß nicht mehr, wann ich Hanna erstmals verleugnet habe. Aus der Kameradschaft der sommerlichen Nachmittage im Schwimmbad entwickelten sich Freundschaften. Außer meinem Banknachbarn, den ich aus der alten Klasse kannte, mochte ich in der neuen Klasse besonders Holger Schlüter, der sich wie ich für Geschichte und Literatur interessierte und mit dem der Umgang rasch vertraut wurde. Vertraut wurde er bald auch mit Sophie, die wenige Straßen wei-ter wohnte und mit der ich daher den Weg zum Schwimmbad gemeinsam hatte. Zunächst sagte ich mir, die Vertrautheit mit den Freunden sei noch nicht groß genug, um von Hanna zu erzäh-len. Dann fand ich nicht die richtige Gelegenheit, die richtige Stunde, das richtige Wort. Schließ-lich war es zu spät, von Hanna zu erzählen, sie mit den anderen jugendlichen Geheimnissen zu präsentieren. Ich sagte mir, so spät von ihr zu erzählen, müsse den falschen Eindruck erwe-cken, ich hätte Hanna so lange verschwiegen, weil unsere Beziehung nicht recht sei und ich ein schlechtes Gewissen hätte. Aber was ich mir auch vormachte ich wußte, daß ich Hanna ver-riet, wenn ich tat, als ließe ich die Freunde wissen, was in meinem Leben wichtig war, und über Hanna schwieg.
Daß sie merkten, daß ich nicht ganz offen war, machte es nicht besser. An einem Abend gerie-ten Sophie und ich bei der Heimfahrt in ein Gewitter und stellten uns im Neuenheimer Feld, in dem damals noch nicht Gebäude der Universität, sondern Felder und Gärten lagen, unter das Vordach eines Gartenhauses. Es blitzte und donnerte, stürmte und regnete in dichten, schwe-ren Tropfen. Zugleich fiel die Temperatur um wohl fünf Grad. Wir froren, und ich legte den Arm um sie.
Du? Sie sah mich nicht an, sondern hinaus in den Regen.
Ja?
Du warst doch lange krank, Gelbsucht. Ist es das, was dir zu schaffen macht? Hast du Angst, daß du nicht mehr richtig gesund wirst? Haben die Ärzte was gesagt? Und mußt du jeden Tag in die Klinik, Blut austauschen oder Infusionen kriegen?
Hanna als Krankheit. Ich schämte mich. Aber von Hanna reden konnte ich erst recht nicht. Nein, Sophie. Ich bin nicht mehr krank. Meine Leberwerte sind normal, und in einem Jahr dürf-te ich sogar Alkohol trinken, wenn ich wollte, aber ich will nicht. Was mir .. Ich mochte, wo es um Hanna ging, nicht sagen: was mir zu schaffen macht. Warum ich später komme oder früher gehe, ist was anderes.
Möchtest du nicht darüber reden, oder möchtest du eigentlich schon und weißt nicht, wie?
Mochte ich nicht, oder wußte ich nicht, wie? Ich konnte es selbst nicht sagen. Aber wie wir da standen, unter den Blitzen, dem hell und nah knatternden Donner und dem prasselnden Regen gemeinsam frierend, einander ein bißchen wärmend, hatte ich das Gefühl, daß ich ihr, gerade ihr von Hanna erzählen müßte. Vielleicht kann ich ein andermal darüber reden.
Aber es kam nie dazu.
Entnommen aus dem Vorleser.
Quellnachweiss: http://www.sachsen-macht-schule.de/pruefungsaufgaben/18/08rsadeutetma.pdf |
Was für einen erzähler finde ich hier vor einen zu beginn das erzählende Ich und später das erlebende ich mit direkter rede.
Wie kann man die Umwelt in diesem Falle deuten den Regen und das Gewitter eventuell noch das Vordach im Bezug auf Michael?
Und was meint Michael mit dem verrat an Hanna?
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(Mitteilung) Reaktion unnötig | Datum: | 16:06 Sa 21.03.2009 | Autor: | Josef |
Hallo PererSteiner,
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> Und was meint Michael mit dem verrat an Hanna?
Seine Beziehung zu Hanna verschweigt er konsequent anderen Menschen gegenüber. Dadurch, dass er über Hanna schweigt, verrät er sie.
Quelle
Viele Grüße
Josef
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Status: |
(Mitteilung) Reaktion unnötig | Datum: | 16:25 Sa 21.03.2009 | Autor: | Josef |
Hallo PeterSteiner,
> Was für einen erzähler finde ich hier vor einen zu beginn das erzählende > Ich und später das erlebende ich mit direkter rede.
Die ganze Geschichte wird aus der Sicht des Ich-Erzählers geschildert.
Die drei Teile, in die der Roman unterteilt ist, entsprechen jeweils einem Lebensabschnitt von Michael, dem Ich-Erzähler.
Der Ich-Erzähler verarbeitet durch das Schreiben sein Leben.
Quelle
Viel Grüße
Josef
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Status: |
(Antwort) fertig | Datum: | 19:18 So 22.03.2009 | Autor: | Josef |
Hallo PeterStein,
> An einem Abend gerie-ten Sophie und ich bei
> der Heimfahrt in ein Gewitter und stellten uns im
> Neuenheimer Feld, in dem damals noch nicht Gebäude der
> Universität, sondern Felder und Gärten lagen, unter das
> Vordach eines Gartenhauses. Es blitzte und donnerte,
> stürmte und regnete in dichten, schwe-ren Tropfen. Zugleich
> fiel die Temperatur um wohl fünf Grad. Wir froren, und ich
> legte den Arm um sie.
> Du? Sie sah mich nicht an, sondern hinaus in den Regen.
>
> Wie kann man die Umwelt in diesem Falle deuten den Regen
> und das Gewitter eventuell noch das Vordach im Bezug auf
> Michael?
Sehnsucht nach seelischer, körperlicher Geborgenheit.
> eventuell noch das Vordach im Bezug auf
> Michael?
Ort seiner Sehnsucht, Geborgenheit, Schutz, Hanna, Liebe.
> Du? Sie sah mich nicht an, sondern hinaus in den Regen.
- Wehmütiges Rückschauen auf das Glück der Vergangenheit.
Viele Grüße
Josef
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